Im Umgang mit der weltweiten Corona-Pandemie hat sich in Deutschland zweierlei gezeigt: Erstens wird HomeOffice plötzlich auch in Berufen und Branchen praktiziert, in denen dies bis vor Kurzem noch als unerwünscht oder unmöglich galt (z.B. in Kindergärten oder in vielen gesundheitsbezogenen Dienstleistungen); zweitens wird diskutiert, dass vor allem Frauen beruflich wieder zurückstecken und z.B. HomeSchooling wieder vorrangig von Frauen geleistet wird.
Die aktuelle Datenlage lässt noch keine Aussagen über die Auswirkungen der Pandemie auf die Potentiale der Digitalisierung in diesem Kontext unter Gleichstellungsaspekten zu. Erste Analysen zur Entwicklung von Erwerbs- und Familienarbeit aus einer Gender-Perspektive zeigen allerdings, dass Frauen stark betroffen sind. Branchen mit einem hohen Frauenanteil wie etwa die Gastronomie, sind wirtschaftlich besonders beeinträchtigt. In der Krise waren bzw. sind Frauen mehr von Arbeitsplatzverlust bedroht und öfter nicht durch Kurzarbeit geschützt, da sie in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten (Hammerschmid et al., 2020). Gleichzeitig scheint sich die Verteilung von Arbeit in der Familie in der Krise stärker zu Lasten der Frauen zu entwickeln, so dass von einer Retraditionalisierung oder einem Rückfall in alte Rollenmuster gesprochen wird (Kohlrausch & Zucco, 2020). Während der Pandemie waren Frauen im Homeoffice unzufriedener mit ihrer Arbeit, ihrem Familienleben und ihrem Leben im Allgemeinen als Männer (Bünning, Hipp, & Munnes, 2020). Sollten sich diese Tendenzen fortsetzen und in einer zu befürchtenden Phase der Rezession noch verschärfen, wird sich dies aller Wahrscheinlichkeit nach auch in den genderbezogenen Unterschieden in der Arbeitswelt abzeichnen.
Zusammengefasst wird dem Digitalisierungsschub aktuell ein Retraditonalisierungsschub gegenübergestellt. In diesem Lehrforschungsprojekt werden wir beide Positionen näher untersuchen und aus verschiedenen Blickwinkeln in Frage stellen. Im Fokus steht die Auseinandersetzung mit Genderperspektiven auf Gleichstellung und Digitalisierung. Den Hintergrund für diese Auseinandersetzung bilden sich im Zuge fortschreitender Digitalisierung verändernde Bedingungen in der Arbeitswelt.
Die Gleichstellung von Frauen und Männern wird vor allem durch den Grad ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit bestimmt. Wirtschaftliche Unabhängigkeit wird vor allem durch Erwerbsarbeit erzielt. Die Integration auf dem Arbeitsmarkt, Entgeltgleichheit, Beschäftigungschancen beider Geschlechter in allen Positionen inklusive Führungspositionen in Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit in privaten Haushalten sind für die wirtschaftliche Unabhängigkeit und damit für gleiche Verwirklichungschancen von Frauen und Männern zentral. In vielen dieser Bereiche sind die Fortschritte eher begrenzt. Dieser Begrenztheit stehen Fortschritte in Sachen Digitalisierung in der Arbeitswelt gegenüber. Digitalisierung in der Arbeitswelt meint im weitesten Sinne die Veränderungen der Arbeit und der Arbeitswelt durch die zunehmende Verbreitung digitaler Technologien.
Die Studierenden haben in diesem LFP die Möglichkeit, in Ankopplung an die bis Ende 2020 laufende Erarbeitung des Dritten Gleichstellungsberichtes der Bundesregierung sowie Forschungsarbeiten der beiden Seminarleiterinnen im Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) und Essener Kolleg für Geschlechterforschung (EKFG) eigene empirische Forschungsfragen zu entwickeln und im Laufe der zweisemestrigen Lehrveranstaltung ein hieran anschließendes eigenes empirisches Forschungsvorhaben durchzuführen. Im Zentrum stehen – stets aus Genderperspektiven – Fragen der bezahlten und unbezahlten Arbeit, der Plattformisierung von Fürsorgearbeit in Medizin, Pflege und Sozialer Betreuung, der Entgrenzung von Arbeit durch vernetzte Kommunikation und der Substituierbarkeitspotenziale von Arbeit.
Die studentischen Forschungsprojekte werden von den Seminarleiterinnen und der gesamten Seminargruppe über zwei Semester von der Ideenentwicklung über die Feldphase bis zur Auswertung und Aufbereitung bzw. Verschriftlichung der Ergebnisse begleitet. Zugleich setzt das LFP neben einem breiten thematischem Interesse hohe Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit voraus. Im WiSe 2020 werden wir uns – unter Leitung von Dr. Caroline Richter - in ausgewählte Dimensionen aus dem skizzierten Themenkomplex einarbeiten. Dabei stehen zunächst Lektüre, Exzerpte, Forschungsposter und Diskussionen im Mittelpunkt. Dabei machen wir uns auch mit zentralen Arbeitsweisen der qualitativen und mixed-methods-basierten Forschung vertraut. Die Studierenden entwickeln dabei eigene empirische Forschungsvorhaben, für die sie zwischen den Semestern eigene Empirie erheben. Im SoSe 2021 werden – unter Leitung von Prof. Dr. Ute Klammer - die erhobenen Daten bereinigt, transkribiert, codiert, ausgewertet und zu Forschungsberichten verdichtet. Die Überlegungen können dann ggf. als Vorarbeiten für Masterabschlussarbeiten weitergenutzt werden.
- Lehrende(r): Ute Klammer
- Lehrende(r): Caroline Richter