Der Krimkrieg brach die internationale Ordnung auf, die der Wiener Kongress 1814/15 geschaffen hatte, um den Frieden in Europa langfristig zu sichern. Die neuen Handlungschancen, die daraus resultierten, wurden von Preußen für eine Politik der nationalen Einigung Deutschlands genutzt; aus den Kriegen von 1864 gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich und 1870/71 gegen Frankreich ging das Deutsche Kaiserreich hervor. Als neuer Machtfaktor in Mitteleuropa musste dieser Staat nach 1871 in ein System der internationalen Beziehungen eingebettet werden, das nicht mehr von einem überwölbenden Ordnungsprinzip, sondern von individuell oder durch Staatengruppen vereinbarten Regelungen und Bündnissen bestimmt war. Teile der Forschung haben diese Situation als „anarchisch“ beschrieben: Autonome, jederzeit zum Krieg bereite Staaten belauerten sich wechselseitig und versuchten sich durch Vertragsschlüsse gegen Angriffe zu sichern – oder für den Kriegsfall ein Übergewicht für sich zu schaffen. Die Vorlesung analysiert, wie dieses System in den Jahrzehnten bis 1914 funktionierte, zu welchen politischen Konstellationen es führte und wie es letztlich in den Ersten Weltkrieg mündete.

Literatur:

  • Canis, Konrad, Bismarcks Außenpolitik 1870 bis 1890: Aufstieg und Gefährdung, Paderborn u.a. 2008.
  • Ders., Der Weg in den Abgrund. Deutsche Außenpolitik 1902-1914, Paderborn u.a. 2011.
  • Rose, Andreas, Zwischen Empire und Kontinent. Britische Außenpolitik vor dem Ersten Weltkrieg, München 2011.
  • Schmidt, Stefan, Frankreichs Außenpolitik in der Julikrise 1914: Ein Beitrag zur Geschichte des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges, München 2009.