Der „memory boom" hält internationale Politik, Gesellschaften und auch die Geschichtswissenschaft noch immer in Atem. Die Denkmalstürze im Zuge der jüngsten Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt haben wieder einmal deutlich vor Augen geführt, dass öffentliche Erinnerung keineswegs einfach ein unbewusster Ausfluss kollektiver Identitäten ist, sondern die umkämpfte Reaktivierung der Vergangenheit. Seit den 1990er Jahren befassen sich Staaten, nationale Gesellschaften aber auch supranationale Organizationen und transnationale Öffentlichkeiten zunehmend mit der Frage, wie schlimme Episoden ihrer Vergangenheit zu erinnern sind – also Dinge, deren Erinnerung lange Zeit als störend für ein friedliches und einvernehmliches Zusammenleben in der Gegenwart angesehen wurden. Einige sehen das internationale Gedenken an den Holocaust als ein Modell für die Erinnerung an (Bürger-)Kriege, Massenmord, Diktaturen, Sklaverei oder Kolonialherrschaft in einem „postheroischen" Zeitalter; andere befürchten eine zunehmende „Konkurrenz" inflationärer Opferansprüche. 

Das Seminar betrachtet international vergleichend, wie sich die Erinnerung an Gräuel und Täterschaft in Gesellschaften und Staaten in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat. Wir fragen nach spezifischen Wegen und Herausforderungen ebenso wie nach allgemeinen Mustern und gegenseitigen Beeinflussungen. Behandelte Fälle umfassen die Erinnerung an den Holocaust, Apartheid in Südafrika, Bürgerkrieg und Diktatur in Spanien, Sklaverei und Sklavenhandel, Bürgerkrieg und Sklaverei in den USA sowie Debatten um Restitutionen und Reparationen infolge kolonialer Herrschaft. Das Seminar soll auf diese Weise auch mit Grundfragen, Quellen und Konzepten der historischen Erinnerungsforschung vertraut machen.

Die Bereitschaft, englischsprachige Fachliteratur und Quellen zu lesen, wird vorausgesetzt.