Ausgangspunkt des Praxisprojekts ist der Boom von – gedruckten und digitalen – Ratgebern, in denen Aufräumen und das damit verbundene „Ausmisten“ als Erfolgsstrategie zur Optimierung des ganzen Lebens erklärt wird: Wer eine aufgeräumte Wohnung hat, gestaltet auch seine persönlichen Beziehungen bewusster, ist gesünder und erfolgreicher im Beruf. Diese Diskurse schließen zum einen an bestehende neoliberalistische Diskurse im Kontext des „unternehmerischen Selbst“, zum anderen an Umwelt- und Nachhaltigkeitsdiskurse an. Sie finden ihren Niederschlag in zahlreichen Blogs, Podcasts und Diskussionsforen im Internet. Parallel dazu hat sich ein neuer Berufszweig des Aufräum-Coachs entwickelt, der sowohl vor Ort als auch in Form digitaler Beratung agiert und sich vielfach aktiv an Blogs, Podcasts und Diskussionsforen beteiligt.

Das Praxisprojekt analysiert diese Diskurse und fragt danach, inwieweit sie auf eine soziale Bewegung hindeuten, an der unterschiedliche Akteur:innen beteiligt sind. Dabei ist von Interesse, wer in welcher Weise an welchen Diskursen beteiligt ist. Als Thema der häuslichen – und damit der weiblichen – Sphäre, werden diese Diskurse vor allem von Frauen geführt, während sich an einzelnen Teilbereichen, z.B. im Minimalismus, auch Männer beteiligen. Auch (andere) Determinanten sozialer Ungleichheit wie Bildung, Einkommen, Alter und regionaler (städtische/ländliche) Standort spielen bei der Beteiligung an den Diskursen eine Rolle und werden untersucht.

In einem größeren Kontext wird danach gefragt, was diese Diskurse und die damit verbundene(n) soziale(n) Bewegung(en) über aktuelle gesellschaftliche Veränderungsprozesse, aber auch über bereits längerfristig laufende Entwicklungen aussagen. So wird in aktuellen Mediendiskussionen der Aufräum-Boom als soziale Bewegung in einer Postwachstumsgesellschaft gedeutet, die sich sowohl gegen materiellen Überfluss als auch gegen die drohende Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen durch das Wirtschaftswachstum wendet. Aus soziologischer Sicht können diese Prozesse aber auch als Versuch interpretiert werden, auf beunruhigende, als unkontrollierbar erscheinende gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren: auf gesellschaftliche ‚Unordnung‘ wird mit Ordnung im häuslichen Bereich reagiert.

Im Praxisprojekt werden verschiedene qualitative und quantitative Methoden der empirischen Sozialforschung angewendet, z.B. Homepage- und Dokumentenanalysen, wissenssoziologische Diskursanalysen, Leitfadeninterviews sowie standardisierte Online-Befragungen.