Kaiser Maximilian I. hatte einen Plan: Er wollte kurz nach 1500 die wichtigsten Erzähltexte des Hochmittelalters in eine gewaltige Prachthandschrift eintragen lassen, die ungefähr einen halben Meter hoch ist und einen Schreiber in Bozen mehr als zehn Jahre lang beschäftigte. Ob der Kaiser zufrieden war, ist nicht überliefert – aber das riesige Textkorpus ist ein Glück für uns, weil von den 25 enthaltenen Texten 15 nur hier erhalten sind. Ohne diese Handschrift würden wir einige Texte gar nicht kennen (Kudrun, Biterolf, Moritz von Craun usw.). Anlass genug, sich die Schwierigkeiten anzusehen, die etwa Hartmanns ‚Erec‘ bereitet, der nur hier, in einer 300 Jahre jüngeren Handschrift, enthalten ist.

Das Thema bietet Raum für handschriftennahe Arbeit, editionswissenschaftliche Fragen, Sprachgeschichte sowie Einzelbetrachtungen zu vielen Epen (Nibelungenlied, Hartmann, Wolfram von Eschenbach) und einigen Schwankerzählungen (‚Die böse Frau‘, ‚Der nackte Kaiser‘). Neben einem Digitalisat der Handschrift liegt jetzt eine digitale Transkription vor, so dass wir erstmals Quervergleiche innerhalb der Handschrift machen können – eine einmalige Gelegenheit.

Literatur:

Komplettdigitalisat der Handschrift: https://onb.digital/result/100277D3

Ambraser Heldenbuch. Hg. von Mario Klarer. Gesamttranskription mit Manuskriptbild. 11 Bände (Transcriptiones 1.1-11), Berlin/Boston 2022. Open access unter: https://www.degruyter.com/serial/ahg-b/html

Martin J. Schubert: Offene Fragen zum 'Ambraser Heldenbuch'. In: Exemplar. Festschrift für Kurt Otto Seidel, hg. von Rüdiger Brandt und Dieter Lau (Lateres. Texte und Studien zu Antike, Mittelalter und früher Neuzeit 5). Frankfurt a.M. 2008, S. 99-120.