Martin Luthers Tischreden bieten eine einzigartige Möglichkeit, dem Denken, Fühlen, Handeln, Arbeiten und Wirken des Reformators sehr nahe zu kommen. „Nirgends tritt uns Luther als Gatte, als Vater, als Freund so lebenswahr entgegen wie in diesen Reden“, schreibt der Historiker und Bibliothekar Ernst Kroker, der die Tischreden in den Jahren 1912 bis 1921 herausgibt. Von 1531 an schreiben verschiedene Schüler und Freunde des Reformators innerhalb von 15 Jahren über 7000 reale Gespräche mit.

Die Tischreden gelten heute als editorisch zwar schwierige, aber dennoch wichtige, so genannte Ego-Dokumente Luthers. Das heißt: In ihnen spricht Luther oft freimütig über Themen und Dinge, zu denen er sich in seinen übrigen Schriften nicht oder nicht so pointiert äußert. Eigentlich waren die Mitschriften nie zur Veröffentlichung gedacht. Trotzdem sind die Tischreden seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in hoher Auflage immer wieder erschienen und haben das Bild des Reformators stark geprägt.

Interessant sind Luthers Tischreden, weil sie als ganz eigene Textsorte nicht literarisch stilisiert sind. Im Seminar schauen wir uns thematisch ganz unterschiedliche Stücke an. Da von den Mitschriften keine Originale, sondern nur Nachschriften erhalten sind, werden wir zudem auf die editorischen Besonderheiten der Tischreden eingehen. Innerhalb der rund 120 Bände umfassenden Weimarer Ausgabe von Luthers Werken bilden die Tischreden eine eigene Abteilung mit sechs Bänden. Inzwischen sind in Archiven neue Handschriften aufgetaucht und es ist eine digitale Neuausgabe geplant. Ein Exkurs in die Tradition der Tischgespräche von der Antike bis zur Renaissance wird Luthers Tischreden zudem gattungsgeschichtlich verorten