Was einst für den Kuhstall entwickelt wurde – assistierte Befruchtung –, ist längst humanmedizinischer Standard in der Kinderwunsch-Behandlung bei Fruchtbarkeitsstörungen geworden. Brauchen wir aber demnächst überhaupt noch Frau und Mann für die Erzeugung von Kindern?
Dabei hat die Verlagerung der Befruchtung der Eizelle aus dem Inneren des weiblichen Körpers in ein Reagenzglas (In-vitro-Techniken: IVF, PID) neben gesundheitsbezogenen Kontrollmöglichkeiten (vererbbare Krankheiten) auch neue soziale Optionen eröffnet: Samenspende, Eizellspende, Leihmutterschaft bestimmen den internationalen Kinderwunsch-Markt und haben Elternverhältnisse vervielfacht. Das Spektrum sozialer Möglichkeiten wird durch atemberaubende Fortschritte in der zellbiologischen Forschung und Therapie (3-Eltern-Kind) noch erweitert und verschränkt sich mit der Gender-Debatte: Für lesbische Paare und alleinstehende Frauen hat schon vor etwa 30 Jahren das Klon-Schaf Dolly die Aussicht auf ein genetisch eigenes Kind eröffnet, da Dolly ohne eine männliche Samenzelle das Licht der Welt erblickt hat. Im Sommer 2023 wurde die Geburt von Mäusen mit zwei genetischen Vätern, aber ohne Einsatz einer weiblichen Eizelle (d.h. ohne eine genetische Mutter), verkündet. Daraus ergeben sich neue Fragen: Sollen homosexuelle Paare auch genetisch eigene Kinder ohne Eizellspenderin bekommen können? Sollen diese reproduktionstechnologischen Möglichkeiten, ein genetisch eigenes Kind herzustellen, für die reproduktive Selbstbestimmung gleichgeschlechtlicher Paare oder für Alleinstehende gefördert werden?
In dem interdisziplinär angelegten Seminar (Biologie, Medizin, Biotechnologie, Ethik, Rechtswissenschaften, Soziologie, Soziale Arbeit etc.) sollen Kenntnisse über den Stand des biotechnisch Möglichen und des rechtlich derzeit (prioritär in Deutschland und Europa) Erlaubten in der Familienplanung erworben werden. Ferner sollen Studierende die Kompetenz erwerben, aus verschiedenen Betroffenen-Perspektiven die Chancen und Risiken der Bandbreite reproduktionstechnologischer Möglichkeiten für Familienvorstellungen einerseits und für eine nachhaltige Gesellschaft andererseits zu analysieren. Ziel ist, im Verlaufe des Seminars Kriterien für die ethische Beurteilung des reproduktionstechnologischen Spektrums zu identifizieren, das unseren Alltag schon jetzt bestimmt.
Die Leistungspunkte werden durch ein (benotetes) Referat sowie durch zwei kollegiale Feedbackbögen (je 1 Seite, vorstrukturiert) zu Referaten von Kommiliton:innen erbracht.
- Lehrende(r): Heike Baranzke