Die Europäische Union stellt in ihrer Größe und Tiefe ein einzigartiges politisches Integrationsprojekt dar. 27 Nationalstaaten geben weitreichende nationale Kompetenzen auf, um auf europäischer Ebene gemeinsam Politik zu machen. Denn was oft in komplexen, kaum verständlichen Gesetzestexten festgehalten wird sind hochpolitische Entscheidungen – zur (nicht-)Handhabung nationaler Grenzen, Asyl- und Migrationspolitik, Sozialpolitik, bis hin zu vermeintlichen „Kleinigkeiten“ wie Ladegeräten für Handys oder dem berühmten Krümmungsgrad von Gurken.
In den letzten Jahren treten die politischen Konflikte innerhalb der Union, die lange auch als Regulierungsstaat betitelt wurde, immer deutlicher zutage: Ewige Uneinigkeiten über die Asylpolitik, Klagen und Bußgelder für Mitgliedsstaaten wie Ungarn, Marathonsitzungen zur Wirtschafts- und Finanzpolitik und nicht zuletzt der Brexit zeigen, dass es in der EU mitnichten nur um wirtschaftspolitische Feinheiten geht.
Doch trotz offensichtlicher Unstimmigkeiten besteht die Europäische Union auch im Jahr 2024, ist handlungsfähig und denkt sogar über die nächsten Erweiterungen nach. In einer politischen Realität, in der das Credo „[beliebige Nation] first“ immer mehr an Unterstützung gewinnt, keine Selbstverständlichkeit. Gleichzeitig wird die gemeinsame Entscheidungsfindung besonders durch das Aufkommen sich national orientierender politischer Bewegungen zunehmend erschwert.
Wir wollen uns in diesem Seminar der Frage widmen, wie die Europäische Union es schafft, in einem Gemenge aus weit mehr als 27 Einzelinteressen, regelmäßig hunderte Rechtsakte und weit mehr Entscheidungen pro Jahr zu fällen. Welche Entscheidungsfindungsprozesse gibt es? Wer entscheidet mit, und wie werden Entscheidungen getroffen? Gewinnen die Staaten mit der größten Verhandlungsmacht, oder werden unter 27 Freund:innen faire Kompromisse geschlossen? Wie funktionieren politische Verhandlungen auf supranationaler Ebene? Werden die Interessen der Bürger:innen in diesen Entscheidungen berücksichtigt, und was ist mit den schätzungsweise 25.000 Lobbyisten, die in den Brüsseler Institutionen ein- und ausgehen?
All diesen Fragen widmen wir uns im Seminar. Studierende erhalten einen tiefen Einblick in Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene und können nach Ablauf des Seminars die politischen Prozesse in Brüssel verstehen und deuten. Zum Abschluss des Seminars werden wir in einer großen Simulation eigene Erfahrungen mit Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten, dem Europäischen Parlament und der Kommission machen.
- Lehrende(r): Alexander Hoppe