Was ist Literaturwissenschaft? Wenn Sie sich für das Fach Französisch entschieden haben, werden Sie sicherlich gerne lesen. Aber was hat man sich unter einem ‚wissenschaftlichen Lesen’ vorzustellen? Möglicherweise denken Sie jetzt an das Schauermärchen von den mechanisch sezierten Gedichten, die in ihren Einzelteilen vor einem liegen, ohne dass man dadurch mehr über sie sagen könnte als zuvor. Zugleich genügt es aber auch nicht, ausschließlich wissenschaftliche Literatur über den literarischen Text, den man nun gar nicht erst anzurühren wagt, zu paraphrasieren. Vielmehr ließe sich die folgende Hypothese aufstellen, der wir in dieser Veranstaltung nachgehen werden: Literatur eignet sich aufgrund ihrer komplexen Verfasstheit in besonderem Maße dazu, die eigene Fähigkeit des sense-making auszubilden und zu trainieren. Die Methoden, dies zu erreichen, sind jedoch vielfältig.

Außerdem werden wir uns mit dem Problem der sogennanten ‚Klassiker’ – aus gegebenem Anlass vor allem der französischen Klassiker – beschäftigen. Literarische Texte neigen dazu, sich aufeinander zu beziehen und dabei Reihen sowohl im Raum als auch in der Zeit zu generieren. Im Laufe Ihres Studiums sollte es Ihnen gelingen, Anknüpfungspunkte für derartige Reihen zu finden, um aus ihnen wiederum Sinn zu schöpfen, der für das Verständnis einer Kultur bzw. deren Selbstverständnis von Bedeutung ist. Dabei gilt jedoch: Was wir einer Kultur für zugehörig empfinden und was nicht, ist nicht in Stein gemeißelt.