"Der Holocaust wurde inmitten der modernen, rationalen
Gesellschaft konzipiert und durchgeführt, in einer hochentwickelten
Zivilisation und im Umfeld außergeöhnlicher kultureller Leistungen; er muß daher als Problem dieser Gesellschaft, Zivilisation und Kultur betrachtet werden."
Zygmunt Baumann
Aus der Erfahrung und in Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen und Systemen des Totalitarismus (Nationalsozialismus, Kommunismus/Stalinismus) sowie der persönlichen Erfahrung des Krieges und des (mehrfachen) Exils fokussierte Baumann in seinen Veröffentlichungen sowohl die inneren gesellschaftlichen Bedingungen und Logiken des Totalitarismus im Sinne einer Diagnose moderner Gesellschaften und stellte zugleich zentrale Begriffe wie Verantwortung, Freiheit, Autonomie ins Zentrum seiner Arbeit. Baumans Werke sind stark geprägt von den Erfahrungen des 2. Weltkriegs und dem Holocaust, dies insbesonders eines seiner Hauptwerke: Modernity and the Holocaust (1989) / Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust. (1992)
Die Dialektik der OrdnungBaumann beschäftigt sich in diesem Werk auf der einen Ebene mit dem Holocaust, d.h. wir finden eine Analyse der Rahmenbedingungen, der inneren Logik und auch der Geschehnisse des Holocaust in diesem Werk. D.h. auch, dass eine Auseinandersetzung mit dem Holocaust in diesem Seminar unausweichlich ist. Dies jedoch nicht im Sinne einer historischen Aufarbeitung (dieses Feld können wir in diesem Seminar nicht ausreichend bearbeiten), sondern vielmehr im Sinne einer soziologischen Analyse des Holocaust und zugleich - und damit als "Kehrseite" der Analyse - im Sinne der Frage: Was bedeutet der Holocaust für die Soziologie?
Damit ist bereits die zweite Ebene angesprochen: Baumann sieht in
"herkömmlichen", d.h. bestehenden Analysen des Holocaust keine
ausreichenden Erklärungsansätze, keine ausreichende soziologische
Analyse des Holocaust.
Er unternimmt den Versuch, den Holocaust aus der Moderne selbst heraus zu analysieren, also als Bestandteil der Moderne. Der Holocaust ist
demnach Bestandteil der Moderne, ist nur im Rahmen der Moderne zu
verstehen und zu analysieren. es handelt sich nicht um einen "Unfall"
der Moderne, sondern um eine - sicherlich sehr spezifische- "Geburt" der
Moderne. Eine solche Analyse der Moderne hat eine entsprechende
Sprengkraft, da dieser (wie andere Formen des Totalitarismus) als
immanenter Bestandteil Moderner Gesellschaften verstanden werden kann
und auf innere Strukturen und Logiken der Moderne (und damit auch von
Gegenwartsgesellschaften) zurückgreift.
Textgrundlage: Baumann, Zygmunt, 2012: Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust (3. Auflage), Hamburg.
- Lehrende(r): Peter Maaß