Soziale Mobilität stellt ein zentrales Kennzeichen europäischer Gesellschaften seit dem 18. Jahrhundert dar. Angesichts von (De-)Industrialisierungsprozessen, Urbanisierung, Bildungsexpansion und Migration erlebten viele Menschen im Laufe ihres Lebens einen tiefgreifenden Wandel ihrer gesellschaftlichen Stellung, der mit sozialem Aufstieg, Abstieg oder Umstieg einhergehen konnte. Zugleich etablierten sich Autobiographien als das Medium, in dem Menschen über ihre Lebenserfahrungen und soziale Mobilität reflektierten. In Memoiren und anderen autobiographischen Texten beschrieben sie ihr Leben. Sie versuchten, diesem Sinn und Stringenz zu verleihen, indem sie Gründe für ihre soziale Mobilität anführten und diese erklärten (z.B. individueller Fleiß, harte Arbeit und Tugend als Ursachen für sozialen Aufstieg). Zum Teil reflektierten sie darüber hinaus die „Kosten“, die mit sozialer Mobilität einhergingen (z.B. eine als Entfremdung wahrgenommene Distanzierung vom Herkunftsmilieu). Schließlich war nicht in jedem politischen System in der deutschen Geschichte alles und von jedem sagbar. Autobiographien, so die zentrale Annahme der Übung, stellen damit eine Quelle dar, durch die sich untersuchen lässt, wie Menschen soziale Mobilitätserfahrungen gedeutet haben und wie sich diese Erfahrungen und Deutungsmuster im Laufe der Zeit veränderten.
Vor diesem Hintergrund verfolgt die Übung zwei Ziele: Erstens führt sie in die Quelle „Autobiographie“ ein. Gemeinsam werden wir diskutieren, wie wir in den Geschichtswissenschaften mit Lebenserinnerungen arbeiten können und welche Fallstricke es dabei zu beachten gilt. Zweitens bietet sie einen Überblick über die deutsche und europäische Sozialgeschichte der Moderne.
- Lehrende(r): Jürgen Dinkel