Gruppe 5: Zeugnis ablegen: literarische (und nichtliterarische) Zeugenschaft im Angesicht der Shoah (SH)
Etwas bezeugen geschieht vor der Wahrheit der eigenen Anwesenheit.
Wer Zeuge oder Zeugin ist, war vor Ort. Wir kennen daher das Wort
Augenzeuge. Aleida Assmann betonte, dass es sich bei der Zeugenschaft um
einen performativen Akt handelt, der eingebunden ist in spezifische
kulturelle Praxen, in denen auch Normen und Konventionen darüber
existieren, was zur Sprache gebracht wird, und was nicht, und auf welche
Art und Weise das geschieht und zu deuten ist. Im Falle von Holocaust
und Shoah geht es, so Assmann ihrer Typologie von Zeugen entsprechend,
nicht nur um historische Zeugenschaft, sondern auch um moralische und
ethische. Diese Formen von Zeugenschaft werden uns beschäftigen, von
denen Sigrid Weigel sagt: Diese Zeugnisse stehen nicht nur im Zeichen
der Anklage, sondern auch im Zeichen der Toten-Klage, die gerade das
Schweigen und Nicht-Sprechen-Können einschließt.
Der Zeugenbericht
oder die Zeugenerzählung steht im Spannungsverhältnis zwischen
intersubjektiver Historie und subjektiven Erinnerung, zwischen
Wahrheits- und Vertrauensanspruch sowie für die Zeugnisliteratur
zwischen Fiktion und (faktualer) Autobiografie.
Wir beschäftigen uns
im Seminar mit dem Zeugnis und der (Zeit-)Zeugenschaft unter
literaturtheoretischer, insbesondere hier narratologischer, und
kulturwissenschaftliche Perspektive: Dann geht es nicht nur um die
Frage, welches Gewicht oder Bedeutung literarische und
nicht-literarische Zeugnisse sowie Zeugen für uns als Gemeinschaft,
sondern auch welchen Status und Qualität diese Zeugnisse haben.
Besonders spüren wir der Frage nach, welche Funktion das Narrative
innerhalb von faktualen Zeugenberichten, autobiografischer und
(auto-)fiktionaler Zeugnisliteratur hat. Angedacht ist darüber hinaus
ein Gespräch mit einer Zeitzeugin der zweiten Generation von
Shoa-Überlebenden sowie ein gemeinsamer Besuch eines Zeugnisortes. Ob
und wie das stattfinden kann, wird in der ersten Sitzung bekanntgeben.
- Lehrende(r): Sabrina Huber