In diesem Seminar geht es um zwei wichtige Konzepte zur Analyse
der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit. Leitbilder und
Diskurse sind Bestandteil der symbolischen Ordnung einer Gesellschaft.
Sie vermitteln zwischen den sozialen Strukturen und dem Verhalten der
Individuen.
Der Leitbildbegriff umfasst unterschiedliche Konzepte; es wird
unterschieden zwischen Leitbildern von Einzelpersonen, Organisationen
und ganzen Gesellschaften. Kulturelle Leitbilder sind Vorstellungen über
gutes und richtiges Handeln, die Normen und Wertvorstellungen
beinhalten können und in Sozialisationsprozessen erworben werden.
Diskurse sind Formen der sozialen Konstruktion von Welt im
Sprachgebrauch – häufig im öffentlichen Sprachgebrauch, z.B. in den
Medien. Diskurse lassen sich als Versuche verstehen,
"Bedeutungszuschreibungen und Sinn-Ordnungen" für eine begrenzte Zeit zu
stabilisieren und "dadurch eine kollektiv verbindliche Wissensordnung"
in einer sozialen Gruppe oder Gesellschaft "zu institutionalisieren“"
(Keller 2007). Leitbilder kommen in Diskursen zur Sprache. Sie werden
über Diskurse kommuniziert, ausgetauscht und verbreitet, und in
Diskursen können sie aktualisiert und miteinander verknüpft werden.
Im Seminar werden die Konzepte an Hand von empirischen Beispielen aus
unterschiedlichen sozialen Kontexten aus den Bereichen Kindheit,
Familie und Bildung vorgestellt. Dabei werden Fragen nach sozialer
Ungleichheit und Ungleichheit der Geschlechter angesprochen, die durch
Leitbilder und Diskurse erzeugt und reproduziert werden. Auch die
Veränderung von Leitbildern und Diskursen als Folge des
gesellschaftlichen Wandels wird angesprochen.
Außerdem werden Methoden vorgestellt und ausprobiert, mit denen
Leitbilder und Diskurse empirisch untersucht werden können. Der Fokus
liegt auf Methoden, die mit einem geringen finanziellen und logistischen
Aufwand durchgeführt werden können und vorgefundenes Material
analysieren, z.B. Ratgeberliteratur, Homepages von Schulen und
Universitäten sowie Dokumente, die von diesen Organisationen zum
Download bereit gestellt werden. Dabei geht es auch um die Frage nach
öffentlich dargestellten Selbst- und Menschenbildern von
Bildungsorganisationen und ihr Ungleichheitspotenzial.
Das Seminar möchte zu einem kritischen Blick auf aktuelle Leitbilder
und Diskurse im Bereich Kindheit, Familie und Bildung anregen und
vermittelt Methoden zur Analyse der Konzepte. Daher kann es auch auf
eine empirische Abschlussarbeit vorbereiten.
Das Seminar findet in Form von digitalen wöchentlichen Sitzungen (BBB
oder Zoom) und asynchronen Einheiten im Selbststudium statt.
Leistungsanforderungen: Regelmäßige Vorbereitung der Seminartermine,
Lektüre der Seminartexte und Bearbeitung von Arbeitsaufgaben im
Selbststudium.
Studienleistung: Referat oder schriftliche Ausarbeitung zu einer
eigenen empirischen Untersuchung (z.B. Homepageanalyse einer Schule).
Prüfungsleitung: Hausarbeit (12-15 Seiten).
Literatur:
Alemann, Annette von, 2015: Deutungsmuster als Gegenstand der
Analyse. In: Alemann, Annette von, Gesellschaftliche Verantwortung und
ökonomische Handlungslogik. Deutungsmuster von Führungskräften der
deutschen Wirtschaft. Wiesbaden: Springer, Kap. 4 (99-121)
Keller, Reiner. 2007. Diskursforschung: Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen. 3., aktual. Aufl. Wiesbaden: VS.
Schneider, Norbert F./ Diabaté, Sabine/ Ruckdeschel, Kerstin (Hg.),
2015: Familienleitbilder in Deutschland. Kulturelle Vorstellungen zu
Partnerschaft, Elternschaft und Familienleben. Opladen u.a.: Barbara
Budrich.
Scholz, Sylka/ Lenz, Karl/ Dressler, Sabine (Hg.), 2013: In Liebe
verbunden. Zweierbeziehungen und Elternschaft in populären Ratgebern von
den 1950ern bis heute. Bielefeld: transcript.